News Frühjahr 2025

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Wenn der Traum im Trauma endet …

„Hauptsache dem Kind geht es gut!“. Diesen Satz hören viele Eltern, wenn die Geburt nicht wie geplant oder erwünscht verlaufen ist oder sogar traumatisch war. Doch muss der einzige Anspruch oder Wunsch an die Geburt die Gesundheit des Kindes sein? Darf eine Frau nicht traurig, schockiert, seelisch verletzt oder sogar traumatisiert sein, auch wenn sie gleichzeitig erleichtert und froh ist, dass ihr Kind gesund ist?

Hört oder liest man von traumatisierten Menschen, so hat man vermutlich als Erstes Krieg oder Katastrophenereignisse im Kopf. Die Tatsache, dass auch übergriffige oder gewaltsame Erfahrungen vor, während oder nach der Geburt ein Trauma auslösen können, rückt glücklicherweise immer mehr in die Köpfe der Wissenschaft und findet auch zunehmend Beachtung beim medizinischen Personal selbst.

Eine neue AWMF S3-Leitlinie, welche sich gerade in Arbeit befindet und den Titel PERIpartale TRAUMAtisierung – Prophylaxe, Diagnostik und Therapie (PERITRAUMA) trägt, behandelt dieses medizinisch und gesellschaftspolitisch hochrelevante Thema. Die Fertigstellung ist Ende März 2027 geplant.

Als seelisches oder mentales Trauma wird in der Medizin ein psychischer Ausnahmezustand beschrieben, der durch ein überwältigendes Ereignis (z.B. Gewalttat, Krieg oder Katastrophe) ausgelöst wurde und eine Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen oder nahestehenden Personen darstellt.

Charakteristisch sind Gefühle wie Ohnmacht, extreme Angst und Hilflosigkeit. Instinktiv hat der Mensch in großen Stresssituationen den Impuls, entweder zu fliehen oder zu kämpfen. Ist beides nicht möglich, erscheint die Situation ausweglos. Ein Trauma stellt eine Extrembelastung für Körper und Seele dar. Als Folge können bei Überlastung des stressverarbeitenden Systems im Gehirn die typischen, sogenannten peritraumatischen Symptome auftreten. Dazu gehören ständiges Wiedererleben des Traumas, Albträume, massive Angst oder Betäubung und Erstarrung.1

Auch die Zeit der Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettzeit kann zum traumatischen Erlebnis werden. Bis zu 50% der Frauen machen während der Geburt traumatisierende Erfahrungen. Das sind hochgerechnet auf Österreich bei ca. 77.000 Geburten im Jahr 2024 eine unglaubliche Anzahl von bis zu 38.500 Frauen. Bis zu 19% entwickeln eine postraumatische Belastungsstörung, welche u.a. negative Auswirkungen auf die Bindung und die kindliche Entwicklung, sowie weitere Erkrankungen des Kindes, hat.

Belastende, schmerzhafte und vor allem unangekündigte Eingriffe wie der Kristeller-Handgriff, eine ohne Aufklärung durchgeführte Episiotomie oder vaginale Untersuchungen während einer Wehe können tiefe Spuren in der Seele der Betroffenen hinterlassen. Das Gefühl des Ausgeliefertseins ist besonders präsent, v.a. weil die Gebärende hier meist zum Stillhalten aufgefordert oder festgehalten wird. Doch nicht nur solche einschneidenden Erlebnisse können das Erleben der Geburt prägen. Auch mangelnde oder nicht stattfindende Aufklärung über medizinische Eingriffe oder Behandlungen von Mutter und Kind ohne eine dezidierte Einwilligung (z.B. die Gabe von synthetischem Oxytocin zur Wehenverstärkung oder Plazentalösung, eine Antibiotikagabe nach vorzeitig erfolgtem Blasensprung, Vit. K Gabe an das Neugeborene ohne Information an die Eltern, …) werden ebenfalls als Ursache für eine negative Geburtserfahrung genannt. Im Klinikalltag und beim allgegenwärtigen Personal- und somit oft gravierendem Zeitmangel, werden solche Beispiele sehr häufig vorkommen und mit Sicherheit ist sich das betroffene Personal der Tatsache in den meisten Fällen überhaupt nicht bewusst, dass so ein Vorgehen für die Frauen alles andere als eine Nichtigkeit darstellt.

Das Ziel der neuen Leitlinie ist eine Verbesserung der Versorgungsqualität von Frauen im Hinblick auf eine Traumatisierung während der Schwangerschaft, Geburt und Postpartalzeit durch Prävention, Diagnostik und Therapie sowie das Erarbeiten von Handlungsempfehlungen, die sich daraus ableiten. Auch die Perspektive der Partner*innen, des Neugeborenen, der Angehörigen und auch der Geburtshelfer*innen (etwa 50–80% der Geburtshelfer machen mindestens einmal im Leben traumatische Erfahrungen im Kreißsaal) soll darin Beachtung finden. Weiters sollen mögliche nachfolgende psychische Störungen verhindert werden, sowie eine Verbesserung der Eltern-Kind- Bindung und eine nachhaltige Prävention für eine gute Kindesentwicklung erzielt werden.2

Jedes Jahr am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, wird der Roses Revolution Day begangen – ein Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe. An diesem Tag haben Frauen die Gelegenheit, oft auch erstmals, über das Erlebte zu sprechen oder es in Form eines Briefes niederzuschreiben. Sie oder auch ihre Angehörige legen am Eingang zu dem Krankenhaus eine Rose nieder, an welchem sie Gewalt vor, während oder nach der Geburt erfahren haben. Auch auf Facebook und Instagram wird dieser Tag begangen. Hier können Frauen ihre Geschichte teilen und sie sich so von der Seele schreiben, es kann eine virtuelle Rose gepostet werden, wenn die Frau das wünscht, etwa weil das Trauma noch zu gegenwärtig ist und sie es sich nicht vorstellen kann, selber den Ort des Geschehens aufzusuchen.

Beim Lesen dieser Berichte stockt einem nicht nur einmal der Atem. Frauen schreiben von verbalen Übergriffen und Beleidigungen seitens des Klinikpersonals bis hin zu körperlicher Gewalt. Sie fühlen sich bevormundet, erpresset oder belächelt. Ja, eine Geburt ist ein emotionales Thema, man ist nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern für einen weiteren kleinen Menschen, man will nur das Beste für sein Kind, und hat gleichzeitig gewisse Vorstellungen, wie die Geburt und alles Drumherum ablaufen soll. Wenn es zu Komplikationen kommt, muss es mitunter schnell gehen. Vielleicht kann die eine oder andere Gebärende, die Informationen, die ihr während der überwältigenden Zeit der Wehen gegeben werden, nicht ausreichend aufnehmen. Vielleicht versteht sie nicht was das Personal im Fachjargon erklärt. Doch niemals, wirklich niemals darf es zu seelischer Gewalt und grobem oder verletzendem Verhalten seitens des Geburtshilfeteams kommen.

Sollte die Situation unter der Geburt ein schnelles Handeln erfordern, wo wenig oder keine Zeit für Aufklärung oder Information bleibt, so müssen die Geschehnisse unbedingt im Nachgang gemeinsam besprochen und den Eltern die Möglichkeit gegeben werden, Fragen zu stellen.

Kann Stillen heilend sein?

Ich kann mich noch an den Satz einer Mutter erinnern, bei der das Geburtserlebnis überhaupt nicht dem entsprach, was sie sich in ihren Gedanken ausgemalt und gewünscht hatte. Als es auch beim Stillen anfangs etwas holprig lief, meinte sie: „Erst kann ich mein Baby nicht selber auf die Welt bringen (die Geburt erfolgte per Kaiserschnitt) und jetzt versage ich auch noch beim Stillen.“ Lange beschäftigte mich dieser Satz, denn die Frau fühlte sich einerseits um ihr positives Geburtserlebnis beraubt und dann war auch der Stillbeginn eine Herausforderung. Das Vertrauen in die Fähigkeiten ihres Körpers war sehr in Mitleidenschaft gezogen. Mit viel Zuwendung, enger Anleitung und positiver Bestärkung konnte sie das Krankenhaus vollstillend verlassen, jedoch war sie immer noch sehr unsicher und hätte rückblickend betrachtet auch für die erste Zeit daheim jemanden gebraucht, der sie unterstützt wieder Vertrauen in sich selbst aufzubauen.

Vor allem dem Hormon Oxytocin sollen wir in unserer Arbeit besondere Beachtung schenken und uns bewusst sein, was es zu bewirken vermag. Direkter Hautkontakt, ein Bondingbad, eine sanfte Brustmassage vor dem Anlegen, das intuitive Stillen, … Bei all dem fließt Oxytocin von selbst und entfaltet seine wunderbaren Effekte für Mutter und Kind. Bei allen Müttern, aber ganz besonders bei jenen, welche die Geburt negativ erlebt haben oder traumatische Erfahrungen machen mussten, kann eine positiv empfundene Stillbeziehung das Vertrauen in die Fähigkeiten des eigenen Körpers stärken, die Selbstwirksamkeit fördern und ganz nebenbei und ohne zusätzlichen Aufwand die Bindung zum Kind festigen. Ein*e qualifizierte Stillberater*in unterstützt die Mutter auf ihrem individuellen Weg nicht nur mit Fachwissen, sondern auch mit Empathie und kommunikativer Kompetenz. Eine Stillberatung kann und soll natürlich in keiner Weise eine notwendige psychologische Betreuung ersetzen. Ein*e Berater*in muss in der Lage sein, Anzeichen für die Notwendigkeit von weiterführender Betreuung zu erkennen und die Stillende dahingehend an kompetentes Fachpersonal zu verweisen.

1 aus www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/trauma/symptome.html, 15.3.2025
2 aus https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/016-004, 15.3.2025