News Winter 2019

Hier geht es zur kompletten Ausgabe News Winter 2019

Laut der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AWMF hängt die Prognose – neben dem Gewicht und der Schwangerschaftswoche bei der Geburt des Frühgeborenen – wesentlich von vier weiteren Faktoren ab, die den Verlauf begünstigen:

  • Einlingsschwangerschaft (statt Mehrlingsschwangerschaft)
  • Mädchen (statt Junge)
  • abgeschlossene Lungenreifung
  • Geburt in einem Perinatalzentrum

Betreuungskonzept

Im Zuge des Vortrags wurde wieder einmal klar, wie effizient es ist, wenn alle beteiligten Berufsgruppen (Ärzte, Ärztinnen, Pflegepersonal, TherapeutInnen, inkl. Stillberatung und psychologischer Beratung) mit der Familie auf Basis von NIDCAP-Standards zusammenarbeiten. NIDCAP ist ein standardisiertes Untersuchungsund Betreuungskonzept für individuelle, entwicklungsfördernde Pflege von Frühgeborenen. Im Uniklinikum Salzburg erfolgt die Betreuung nach diesem Konzept der kontinuierlichen Begleitung:

Die anfängliche pränatale Visite erfolgt auf der gynäkologischen Station – bei allen Müttern mit Frühgeburtsbestrebungen. Drei Berufsgruppen treten dabei mit den Eltern in Kontakt und besprechen das Vorgehen post partum:

  • IBCLC
  • neonatologische/r Arzt/Ärztin
  • Case- und Care-ManagerIn

Die präpartale Stillberatung hat für alle Beteiligten den großen Vorteil, dass die Mütter über die vielen Vorteile der Muttermilch – speziell auch für Frühgeborene und die praktische Kolostrum- Gewinnung mit der Hand inkl. dem nachfolgenden Pumpmanagement mit der Milchpumpe Bescheid wissen. Frühgeborene bekommen dadurch meist deutlich früher Kolostrum der eigenen Mutter und profitieren von den nachweislichen Vorteilen:

  • besserer Immunschutz
  • bessere gastroenterologische Entwicklung
  • Verringerung des hohen NEC-Risikos bei Frühgeborenen
  • besseres neurologisches Outcome
  • besserer oraler Nahrungsaufbau und dadurch kürzere Liegedauer von venösen Zugängen

Bausteine für einen guten Stillbeginn

BONDING
fördert eine sichere Mutter-Kind- Bindung in dieser sensiblen Zeit, es verbessert die hormonelle Situation der Mutter und erleichtert die Milchbildung.
Neue Studien zeigen auch einen protektiven Schutz vor Verhaltensauffälligkeiten bzw. neurokognitiven Entwicklungsstörungen. Das Ziel ist daher immer, auch bei kleinsten Frühgeborenen – frühestmöglicher Kontakt (innerhalb von 4 Stunden post partum) zwischen Mutter und Kind!

KÄNGURUEN
also Haut-zu-Haut-Kontakt wird Tag und Nacht ermöglicht, es kann im Wechsel zwischen beiden Elternteilen erfolgen bzw. ist natürlich auch während des Abpumpens möglich. Eltern von zu früh geborenen Babys haben immer mehr Ängste und Sorgen – es gibt erfahrungsgemäß keine bessere Interventionsmaßnahme, um diesen Gefühlen entgegenzuwirken als Känguruen.

MUTTERMILCH-GEWINNUNG UND ETABLIERUNG DER MILCHBILDUNG
ist beim Frühgeborenen anders als beim Termingeborenen. Die hormonell nicht wiederkehrende sog. „Golden hour“ (erste Stunde post partum) sollte idealerweise von allen Müttern genutzt werden – nach Frühgeburt zur Muttermilchgewinnung per Hand bzw. zum Stillen nach Termingeburt. Untersuchungen zeigen eindrücklich, dass die in der ersten Stunde post partum gewonnene Muttermilchmenge deutlich höher ist als zu einem späteren Zeitpunkt und die Milchmenge auch nach einer Woche 3x höher als bei einer Handentleerung erst nach 6 Stunden post partum. Die Mütter werden angeleitet, nach zweimaliger Handentleerung (= alle 2–3 Stunden) mit dem Pumpen zu beginnen und, je nach Milchmenge, beides zu kombinieren.

Das ideale Pumpmanagement

  • 10–12x in 24 Stunden pumpen, für jeweils ca. 15–20 Minuten
  • Brustmassage vor jedem Pumpen bzw. während des Pumpens mit einem Doppelpumpset
  • Nachtpause von max. 5 Stunden
  • Nach Etablierung der Milchmenge kann die Pumpfrequenz auf 8x in 24 Stunden reduziert werden
  • Bei Bedarf „Power-Pumping und Cluster-Pumping” zur Steigerung der Milchmenge und/oder „Hands-on- Pumping“ zur Steigerung der Milchmenge und des Fettgehaltes
    Ideale Milchmengen nach 10–14 Tagen sind 800–1000ml in 24 Stunden, mindestens jedoch 500–700ml in 24 Stunden
    „Sich mit dem Baby verbinden“ und die Pumpe als „Brücke zum Kind“ sehen hilft meist sehr!

In Bezug auf CMV-positiver (Cytomegalie- Virus) Mütter richtet sich das Landeskrankenhaus Salzburg nach der österreichischen Empfehlung: Frühgeburten unter 28 SSW oder unter 1000g Geburtsgewicht bekommen in den ersten 3 Lebenstagen (in Salzburg 5 Lebenstagen) natives Kolostrum. Ab dem 4. Lebenstag bis zur 32. SSW wird pasteurisierte Muttermilch verwendet. Da es interessanterweise keine eindeutigen internationalen Richtlinien gibt, haben unterschiedliche Kliniken unterschiedliche Vorgehensweisen. Innsbrucker Neonatologen kamen zu dem Schluss, dass – trotz einer Verringerung des CMVÜbertragungsrisikos mittels Pasteurisierung – die Gabe von unpasteurisierter Muttermilch auch für sehr kleine Frühgeborene vorzuziehen ist, da die Risiken für andere Komplikationen überwiegen gegenüber dem milden Verlauf einer möglichen CMVInfektion.

UNTERSTÜTZENDES UMFELD
bezieht sich vor allem auf den Vater, der oft das Bindeglied zwischen Mutter und Kind ist. Die modernen Väter von heute sind so offen wie noch nie und übernehmen meist gern verschiedene Aufgaben. Es gibt in Salzburg auch für Väter (und Geschwisterkinder) die Möglichkeit im Krankenhaus zu übernachten. Die Frauenmilchbank hilft bei Muttermilchmangel und selbst Kolostrum ist in Salzburg schon für Frühchen unter 1000g verfügbar. Die professionelle Zusammenarbeit aller Berufsgruppen beinhaltet auf dieser Neonatologie die vielerorts auch gewünschte Ernährungsvisite mit Muttermilch-Analyse inkl. individueller Anreicherung.

MUTTERMILCH-ERNÄHRUNG IN VIELEN VARIANTEN
reicht von voller Sondierung und erstem Anlegen bis hin zum Stillen ad libitum. Grundsätzlich sind Stillversuche immer möglich. Die Fähigkeit das Saugen, Schlucken und Atmen gut zu koordinieren entwickelt sich jedoch meist erst ab der 32. SSW. Bei den ersten Stillversuchen geht es v.a. um die Prägung an die Brust, das Riechen und Schlecken der Muttermilch und das non-nutritive Saugen – darüber sollte die Mutter auch informiert werden, um keine falsche Erwartungshaltung zu haben. Bei bereits guter Etablierung der Milchmenge sollte vor dem ersten Stillversuch evtl. abgepumpt werden. Wenn ein Baby wach ist und Stillzeichen zeigt, kann es auch zwischen den Mahlzeiten an die Brust gelegt werden.

Die immer umstrittenen Stillhütchen können bei Frühgeborenen hilfreich sein, die Indikation sollte idealerweise eine Stillberaterin stellen und den Stillvorgang anschließend einige Male beobachten, um die Mutter im Umgang richtig anzuleiten. Falls das Stillhütchen eingesetzt wird, sollte die Mutter bei ausschließlichem Stillen 1-2x/Tag zusätzlich abpumpen, um eine ausreichende Milchbildung zu sichern. Stillwiegungen werden am Stillbeginn nicht empfohlen, die tägliche Gewichtskontrolle ist ausreichend. Bei Bedarf kann später hin und wieder ein Orientierungsgewicht gemacht werden.

Die Mutter muss über das notwendige Nachpumpen nach dem Stillversuch aufgeklärt werden. Stillen semidemand bedeutet Stillen und restliche und/oder gesamte Nahrung sondieren. Bei manchen Mahlzeiten wird das Baby schon voll gestillt und bei anderen noch voll sondiert. Das Kind findet langsam seinen Rhythmus und macht sich auf den Weg zum Stillen ad libitum. Dabei ist bei Frühgeborenen wichtig, dass keine längeren Nahrungspausen (über 3 Stunden) entstehen und das Kind uneingeschränkt angelegt wird. Manchmal gelingt das Stillen ad libitum bei Frühgeborenen nicht und es muss wieder zum Semidemand- Stillen gewechselt werden – in keinem Fall darf das Kind gestresst werden! In jeder dieser Phasen ist es wichtig, Mutter und Kind individuell zu unterstützen, ihnen verschiedene Stillpositionen zu zeigen, Mahlzeiten zu beobachten und teilweise immer wieder auf das empfohlene Pumpmanagement hinzuweisen.

Das Landeskrankenhaus Salzburg ist eine der wenigen Neonatologien, die ihre Kinder bei Bedarf mit Magensonde in die Nachbetreuung entlassen. Diese Option ist für die Kinder und ihre Familien oft deutlich stressfreier und die Entlassung kann früher erfolgen. Wichtig ist vor allem, dass mit der Familie ein für sie passender Weg gefunden wird und die lückenlose Betreuung auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gewährleistet wird – nur so können die Stillraten hochgehalten werden (Stillambulanz, Stillgruppe, IBCLC, Hebammenbetreuung, neonatologische Nachsorge bei Entlassung mit Sonde).

Dieses Beispiel aus der Praxis (siehe Kasten rechts) untermauert die genannten Bausteine für einen guten Stillbeginn und die Zeit darüber hinaus. Vieles ist in der Neonatologie möglich bzw. sollte ermöglicht werden, denn „unser Morgen wird anders sein, wenn wir das Heute verändern“.

Praxisbeispiel
Mutter wird nach Eizellenspende schwanger und hat eine bekannte Schilddrüsenunterfunktion. In der 30. SSW geht sie wegen rezidivierenden Kopfschmerzen und herabgesetztem Allgemeinzustand zu ihrem Gynäkologen. Nach der Untersuchung wird sie mit Verdacht auf Präeklampsie in die Klinik eingewiesen. In der Klinik bestätigt sich die Präeklampsie, eine Plazentainsuffizienz und Dystrophie des Kindes werden festgestellt. Die Mutter verbringt eine Woche mit Tokolyse, Lungenreifung und Neuroprotektion werden durchgeführt und eine pränatale Visite erfolgt. Der Gesundheitszustand verschlechtert sich weiter – ein HELLP-Syndrom entwickelt sich, daher wird das Kind in der SSW 31+3 per Kaiserschnitt in Spinalanästhesie geboren.Die Mutter konnte das Kind nur kurz halten, die erste Kolostrummassage 1,5 Stunden post partum vor dem Transfer auf die Intensivstation erfolgte noch im Kreissaal. Die IBCLC der neonatologischen Intensivstation brachte anschließend Milchpumpe und Zubehör auf die Intensivstation und schulte die (männlichen!) Intensivpfleger ein, die nach anfänglichem Zögern auch einverstanden waren, die Mutter beim Abpumpen zu unterstützen. Am 1. Tag pp wurde dadurch die Brust 4x auf der Intensivstation stimuliert und 10ml Muttermilch gewonnen). Am 2. Tag wurde die Mutter wieder auf die Normalstation verlegt, sie konnte in den darauffolgenden Tagen ihr Pumpmanagement mit der nötigen Unterstützung optimieren und erreichte nach einer Woche die gewünschte Muttermilchmenge von 700-800ml.

Das Baby entwickelte sich seiner SSW entsprechend gut und brauchte nur kurzfristig eine Atemhilfe. Die Mutter erkrankte nach 14 Tagen an einer Mastitis, wurde mit Antibiotika versorgt und hatte einen kurzfristigen Einbruch der Milchmenge. Dem wurde effektiv mit Clusterpumping und Bockshornkleesamen-Kapseln entgegengewirkt. Nach drei Wochen wurde die Mutter mit ihrem Kind auf die Eltern-Kind-Station verlegt und stillte dort semi-demand. Nach fünf Wochen wurde das Kind zu 70% gestillt und mit Magensonde nach Hause entlassen. Nach einer Woche zu Hause konnte die Sonde entfernt werden und das Kind wurde ab diesem Zeitpunkt voll an der Brust gestillt.

Babys „be-greifen“ ihr Umfeld

Auf vielen Neonatologien sind die kleinen Kraken/Oktopusse für Frühchen gerade sehr aktuell und fehlen in keinem Inkubator mehr. Nachdem eine Mutter 2013 in Dänemark den ersten kleinen Kraken zu ihrem Frühgeborenen legte, hatte sie das Gefühl, dass ihr Kind dadurch ruhiger wurde, nicht mehr so viel an den Schläuchen zog und bessere Vitalzeichen hatte. Inzwischen werden in vielen Ländern weltweit von Privatpersonen oder Vereinen diese Oktopusse gehäkelt und an Sammelstellen abgegeben. Diese „ersten kleinen Freunde“ müssen nach einer genauen Anleitung mit den richtigen Materialien angefertigt werden, damit für die kleinen/kranken Frühgeborenen keinerlei Risiko entsteht. Die Kraken dürfen nie verkauft werden, sondern sind immer ein Geschenk, welches das Baby bei der Entlassung mit nach Hause nehmen darf. Dr.in Beate Pietschnig, IBCLC stellte das Oktopus-Projekt kurz vor und empfahl für weitere Informationen die Internetseite www.oktopusfuerfruehchen.at.