News Frühjahr 2023

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Um Bindung optimal, am besten schon präventiv, fördern zu können, ist es wesentlich, die verschiedenen Varianten von Bindung zu kennen und zu erkennen. Es gibt unterschiedliche Bindungsstile. Von den Normvarianten sicher gebunden (> 60% in der Bevölkerung) über unsicher-vermeidend und ambivalent-unsicher gebunden über desorganisierte Bindung (= Grenze zum Diagnosesystem) bis hin zu Bindungsstörungen (mit schwersten Verhaltensauffälligkeiten).

Eine sichere Bindung ist ein wesentliches Fundament für die weitere Entwicklung. Die Fähigkeit Urvertrauen (= das Vertrauen, dass mir geholfen wird, wenn ich ein Bedürfnis habe) ist von großer Bedeutung. In einer psychologischen Untersuchungsanordnung werden die verschiedenen Bindungsstile der Normvariante dargestellt. Im Setting kommt die Mama mit ihrem ungefähr ein Jahr alten Kind in einen Untersuchungsraum, in dem Spielzeug auf dem Boden liegt. Die Mama setzt sich auf einen Sessel, das Kind beginnt zu spielen. In der Folge kommt eine fremde Person dazu und setzt sich zu dem Kind. Nach einer Weile verlässt die Mama (=die Bindungsperson) das Zimmer und kommt nach kurzer Zeit wieder zurück. Aufgrund der Reaktionen des Babys, sowohl beim Verlassen als auch bei der Rückkehr der Bindungsperson ins Zimmer, lassen sich Rückschlüsse auf den Bindungsstil schließen.

Das sicher gebundene Kind hört auf zu spielen und weint, wenn die Mama das Zimmer verlässt und kann nur von der Bindungsperson wieder beruhigt werden.

Das unsicher-vermeidend gebundene Kind weint beim Verlassen nur kurz auf und zeigt seinen Kummer nicht, auch nicht bei Rückkehr der Mama. Es kann die Sicherheit der Bindungsperson nicht zur Regulation nutzen und erfährt dadurch enormen Stress. Diese Kinder erfahren durch ihre Bindungsperson oft keine Reaktion auf ihre Bedürfnisse.

Das ambivalent-unsicher gebundene Kind weint nach Rückkehr der Bindungsperson und kann nicht aufhören, es wirkt wütend und zeigt Aggression gegen das Spielzeug, während es sich von der Mama halten lässt. Hier wird von der Bindungsperson auf ein Bedürfnis des Kindes oft unterschiedlich reagiert.

Bei einer desorganisierten Bindung kommt es zur Überlagerung des Grundbindungsstiles, das Kind wirkt bei der Wiedervereinigung eingefroren, es nähert sich mit abgewendetem Kopf ohne Blickkontakt an die Mama an.

Sichere Bindung – Warum fördern?

Eine sichere Bindung ist das Fundament des Lebens. Fehlt das Urvertrauen, erscheint alles als feindselig. Ist ein Kind sicher gebunden, hat es eine höhere Widerstandsfähigkeit und ein prosozialeres Verhalten, es kommt seltener zu psychischen Auffälligkeiten und es hat bessere Lernchancen.

Was passiert bei frühgeborenen Kindern, welche Stressfaktoren treten bei Kind und Eltern auf?

Belastungsfaktoren auf Elternebene

Die Vorstellungen der Eltern bzgl. Leben mit einem Neugeborenen unterscheiden sich oft sehr von der Realität mit einem Frühgeborenen. Pränataler Stress kann bei der Mutter zu einer reduzierten Blut- und Nährstoffversorgung der Placenta führen. Es kommt zur Trauer, weil die Geburt nicht so war wie erträumt und weil man kein gesundes Kind hat. Dazu kommt die Scham versagt zu haben und Schuldgefühle gegenüber dem Baby und Geschwisterkindern. Das führt zu Belastungen in der Partnerschaft und ein Gefühl der Hilflosigkeit macht sich breit. Je nach eigenem Bindungsmuster fällt es den Betroffenen leichter oder schwerer sich Hilfe zu holen. Auch die Sorge um Leib und Leben der Mutter und des Kindes kann traumatisch wirken.

Risikofaktoren für Pränatale Traumata

Wichtig ist zu wissen, dass nicht jeder Risikofaktor zu einem Trauma führt, es gibt auch Schutzfaktoren. Schutzfaktoren sind z.B.: moderater Stress, d.h. die Mama zeigt eine große Bandbreite an Emotionen in der Schwangerschaft bzw. wenn sie schon früh in der Schwangerschaft mit dem Kind zu sprechen beginnt. Das Kennen von Schutzfaktoren ermöglicht eine bereits präventive Intervention bei Risikofaktoren. Risikofaktoren wären Stress der Mutter (z.B.: durch Gewalterfahrungen), Umstände der In-vitro-Fertilisation, Abtreibungswunsch, elterliche Erwartungen der Behinderung oder des Todes des Kindes. Aber auch Zwillingstod, Drogen, psychische Belastungen oder Erkrankungen der Eltern (z.B.: Depressionen, Ängste, Posttraumatische Belastungsstörungen).

Belastungsfaktoren auf Kindesebene

Das Frühgeborene erlebt einen abrupten Abbruch der intrauterinen Bindungsentwicklung, es erlebt schmerzhafte Prozeduren wie Behandlungen und Operationen. Das Kind ist in seiner Responsivität auf Bindungsangebote verlangsamt und reduziert, gleichzeitig erlebt es eine erhöhte Irritierbarkeit die zur Überforderung führt. In der Folge zeigen sich Regulationsschwierigkeiten in Form von Still-, Fütter- und Gedeihstörungen und im Schlaf-Wachrhythmus. Auch auf das Kind wirkt eine Gefahr an Leib und Leben traumatisch.

Bindungsförderung

Ein bedeutender Schlüsselfaktor in der Bindungsförderung ist die Feinfühligkeit. Kinder brauchen Eltern, die die Bedürfnisse des Kindes wahrnehmen, die fähig sind angemessen darauf zu reagieren und prompt zu antworten. Wir brauchen handlungssichere stabile Eltern, die ihre intuitive elterliche Kompetenz einsetzen können. In der Beratung geht es hauptsächlich darum den Eltern zu erklären, dass ein Frühgeborenes seine Bedürfnisse nicht so klar signalisieren kann wie ein reifgeborenes Kind. Verschiedene Programme unterstützen Eltern dabei, die Emotionsausdrücke ihres Kindes lesen zu lernen. Idealerweise geschieht dies mittels videogestützter Interaktionsbegleitung. Vorrausetzung für eine gelungene Begleitung ist zuerst einmal das Herstellen von Vertrauen und Sicherheit. Wichtig ist für die Eltern das Wissen um die Besonderheiten von frühgeborenen Kindern, so kann Schuld- und Schamgefühle entgegengewirkt werden. Unterstützung beim Körperkontakt mit dem Baby ist ebenso hilfreich. In einem Video einer Wickel-, Still-oder Füttersituation kann ein positives Standbild herausgesucht werden, anhand dessen ein Moment des gelungenen Miteinander für die Eltern sichtbar gemacht werden kann. Bei ausreichendem Vertrauen können dann auch Herausforderungen wie Ablehnungseindrücke angesprochen werden. Die beratende Person fungiert vorerst als Übersetzer:in der

Baby-Feinzeichen an die Eltern. Mit den Feinzeichen, die ein Baby aussendet, drückt das Baby sein Befinden aus. Sie drücken sich in Offenheit, Regulationsversuchen und Belastungen aus. Die Eltern lernen die wechselnden Erregungszustände und damit verbundene Emotionen zu regulieren.

Feinzeichen der Offenheit sind Lächeln, „Brabbeln und Glucksen“, eine gleichmäßige Atmung, eine rosige Haut und ein zugewandter Blick. Dies kann den Eltern gut anhand eines positiven Standbildes gezeigt werden.

Feinzeichen der Regulation sind Grimassieren, Gähnen und Quengeln, Fäuste ballen und diese zum Mund führen, Hände oder Fäuste vor dem Mund zusammenführen, sich an etwas festhalten, ruckartige Bewegungen und das Abwenden des Blickes. Mit diesen Zeichen versucht das Kind Stress (auch positiven) zu regulieren und braucht ev. auch die Unterstützung der Eltern dazu. Wichtig für Eltern ist es auch zu wissen, dass diese Zeichen nichts mit Ablehnung zu tun haben.

Feinzeichen der Belastung werden mit den Eltern erst bei wachsendem Vertrauen besprochen, sie werden meist in Form von Fragen mit den Eltern erarbeitet. Zeichen sind starrer Blick und Abwenden des Blickes, Schreien, marmorierte Haut, Rudern mit den Armen, Anspannung, kaum Bewegung, Würgen, Spucken und Wegducken vor Bezugspersonen (bei älteren Kindern).

Das Arbeiten mit Bildern und das Mitgeben von positiven Standbildern hat sich hier nach dem Motto „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ sehr bewährt und dient für die Eltern oft als Herzöffner in schwierigen Situationen mit dem Baby. Bei zunehmendem Vertrauen der Eltern in die beratende Person besteht die Möglichkeit, auch Missverständnisse zwischen Eltern und Kind anzusprechen. Hier kann ebenfalls mit Standbild und Fragen gearbeitet werden. Es wird versucht eine positive Umdeutung durchzuführen mit Fragen wie z.B.: „Ihr Baby weint heute, es zeigt seine Bedürfnisse heute sehr stark, was könnte das denn sein?“ oder nachfragen „Welchen guten Grund hat denn ihr Baby heute zum Weinen?“. Dies kann bei den Eltern zum Umdenken und weg von der Fehlerspirale führen. In der Folge werden dann auch noch die Bedürfnisse des Babys angesprochen, die es zur Regulation braucht.