News Winter 2022

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Die Schilddrüse &…
ihre Wirkung auf Schwangerschaft und Postpartalperiode

Sieht man sich die Beschwerden bei einer Unter- oder Überfunktion an, dann bietet sich ein sehr breites Bild – es ist für jeden was dabei.

Unterfunktion: Patient ist müde, antriebslos, der Herzschlag ist verlangsamt, es treten Zyklusstörungen auf, die Fruchtbarkeit ist herabgesetzt, Gewichtszunahme trotz geringer Kalorienaufnahme, trockene Haut, träge Verdauung, Kältegefühl, grippeartiges Krankheitsgefühl, Haarausfall. Das Problem – die Symptome sind teilweise sehr, sehr individuell und sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Überfunktion: Hier sind die Symptome meist genau umgekehrt. Das Herz schlägt schneller, Patienten leiden unter Bluthochdruck, schlafen schlecht, die Schilddrüse ist vergrößert, die Haut ist warm und trocken, eventuell zeigen sich typische basedow’sche Glotzaugen. Auch hier gibt es Zyklusstörungen und die Fruchtbarkeit ist verringert. Man kann relativ viel essen und nimmt dennoch ab. Es kann zur Osteoporose kommen, Betroffene haben häufigen Stuhlgang, zittern, schwitzen, klagen über innere Unruhe. Patienten mit einer Schilddrüsenüberfunktion sind körperlich und emotional nicht belastbar bzw. emotional leicht verletzbar. Es gibt verschiedene Tests und Untersuchungen, mit denen die Funktion und Beschaffenheit der Schilddrüse überprüft werden kann:

Tastuntersuchung – es lassen sich Vergrößerungen oder Knoten ertasten

Blutuntersuchungen Thyroidea stimulierendes Hormon (TSH) ist ein von der Hirnanhangsdrüse ausgeschüttetes Hormon. Anhand des TSH lassen sich Störungen der Schilddrüse sehr früh erkennen. Erhöhte TSH-Werte weisen auf eine Unterfunktion, erniedrigte Werte auf eine Überfunktion hin.

Freies Trijodthyronin (ft3) und freies Thyroxin (fT4): Weicht der TSH Wert ab, dann ist es auch wichtig, T3 und T4 zu bestimmen. Ein großer Teil der Schilddrüsenhormone ist jedoch an Eiweiße gebunden. Wirksam sind aber nur die freien Schilddrüsenhormone, deshalb werden heute nur fT3 und fT4 gemessen („f“ steht für „frei“). Erhöhte Werte der freien Schilddrüsenhormone weisen auf eine Überfunktion, zu niedrige Werte auf eine Unterfunkton hin.

Antikörper: werden vom Immunsystem irrtümlicherweise gegen die Schilddrüse produziert, sie weisen auf mögliche Ursachen hin:

So verursachen TPO-Antikörper eine chronische Entzündung der Schilddrüse, das Krankheitsbild der Hashimoto Thyreoiditis (nach anfänglicher Überfunktion kommt es zur dauerhaften Unterfunktion der Schilddrüse).
TRACK Antikörper gegen den TSHRezeptor, hier gibt es stimulierende und teilweise blockierende Funktionen, leider kann man diese nicht gut auseinanderhalten. Bei einer stimulierenden Funktion kommt es zu einer Überproduktion der Schilddrüse mit dem Vollbild des Morbus Basedow. Diese Antikörper passieren bei der Schwangeren die Plazenta und stimulieren das Kind auch mit.

Ultraschalluntersuchung: Zeigt sehr gut die Morphologie und Struktur der Schilddrüse, Vergrößerungen, Knoten oder Zysten sind hier gut erkennbar.

Szintigraphie: Hier wird der Patientin ein schwach radioaktives Medikament i.v. verabreicht, das wird so wie Jod in der Schilddrüse verstoffwechselt und man kann den regionalen Stoffwechsel damit gut darstellen. Nach Verabreichung des radioaktiven Stoffes sollte die Mutter etwas Abstand zum Säugling halten und für 24 Stunden die Muttermilch abpumpen und verwerfen. Danach ist die Substanz vollständig abgebaut und ausgeschieden.

Feinnadelpunktion: Mit einer dünnen Hohlnadel wird unter Ultraschallbeobachtung Gewebe oder Flüssigkeit aus einer suspekten Stelle der Schilddrüse entnommen um abzuklären, ob es sich um eine Entzündung, einen gut- oder einen bösartigen Tumor handelt.

Welche Krankheitsbilder der Schilddrüse gibt es?

Über- und Unterfunktion wurden schon etwas beschrieben und sind oft Teil der anderen Krankheitsbilder.

Thyreoiditis ist eine Schilddrüsenentzündung. Am Beginn kommt es zum Zellzerfall und zu einer passageren Überfunktion (über einige Wochen bis Monate). Dies normalisiert sich wieder und geht manchmal erst nach Jahren oder Jahrzehnten in eine Unterfunktion über. Die bekannteste Thyreoiditis ist die Hashimoto- Thyreoiditis, eine chronische Autoimmunthyreoiditis. Nach einer Entbindung gibt es noch eine Sonderform, die postpartum Thyreoiditis. Während die Schwangere 9 Monate lang genetisch fremdes (kindliches) Gewebe in sich trägt wird das Autoimmunsystem zurückgefahren. Nach der Geburt werden alle Autoimmunprozesse wieder ein bisschen angeregt und die Schilddrüse zeigt dann etwa 2 Monate lang eine Autoimmunreaktion, eine leichte Thyreoiditis mit leichter passagerer Überfunktion. Wenn die Mutter in den ersten Wochen Bäume ausreißen könnte und keinen Schlaf braucht, dann spielt diese passagere Überfunktion ein bisschen mit.

Auch beim Morbus Basedow handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, die ebenso mit einer Thyreoiditis einhergeht, und die durch die Schilddrüsenüberfunktion gekennzeichnet ist.

Der Kropf oder die Struma war bis in die 60iger Jahre (bis zum Beginn der Jod-Salz-Prophylaxe) in den Alpenländern ein sehr häufiges Krankheitsbild, heute fast verschwunden.

Ein heißer Knoten – eine knotige Veränderung von Schilddrüsenzellen, die unabhängig von der Schilddrüse selbst Schilddrüsenhormone produzieren. Zwar sind die Knoten fast nie bösartig, aber führen zu entsprechend unangenehmen Folgesymptomen.

Das Schilddrüsenkarzinom wird heute häufiger diagnostiziert als noch vor einigen Jahrzehnten. Dies liegt jedoch hauptsächlich an den immer besseren Möglichkeiten der medizinischen Diagnostik. Nur ein geringer Teil der Knoten in der Schilddrüse ist bösartig, die Prognose bei Schilddrüsenkrebs ist meist ausgezeichnet.

Auch immer wieder zu sehen sind Patientinnen ohne Schilddrüse – sei sie operativ entfernt, durch eine Radiojodtherapie zerstört, oder bei einem Menschen von 10.000 ist gar keine Schilddrüse angelegt.

Unerfüllter Kinderwunsch

Die Schilddrüse beeinflusst die Fruchtbarkeit. Besteht eine Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion, kann das zu Zyklusstörungen führen, die Fruchtbarkeit kann herabgesetzt sein. Der primäre Parameter, der TSH Wert, sollte unter 2,5 sein. Beim unerfüllten Kinderwunsch kann es aber sinnvoll sein, diesen TSH Wert noch niedriger anzusetzen.

Die Schilddrüse in der Schwangerschaft

Wird eine Frau mit einem bekannten Schilddrüsenproblem schwanger, dann sollte die erste Kontrolle schon in der 8. SSW erfolgen. Das Schwangerschaftshormon Beta-hCG stimuliert auch die Hormonproduktion in einer gesunden Schilddrüse, daher kommt es in der Frühschwangerschaft zu einer leichten und normalen Überfunktion der Schilddrüse. Besonders deutlich zeigt sich dieser Effekt bei Mehrlingsschwangerschaften. Bei Frauen mit Schilddrüsenerkrankungen funktioniert dieser normale Regelkreis nicht sicher, daher ist diese sehr frühe Kontrolle der Schilddrüsenfunktion wichtig. Bekommt das Baby in der Schwangerschaft nämlich zu wenig Schilddrüsenhormon, dann kann sich das auch auf die geistige und körperliche Entwicklung auswirken.

Schwieriger ist die Situation einer Schwangeren mit Morbus Basedow. Als Faustregel lässt sich dazu sagen: „Eine Überfunktion verkompliziert die Schwangerschaft – eine Schwangerschaft verkompliziert die Überfunktion.“ Die Überfunktion ist nicht gut für die Mutter und nicht gut für das Kind, die Medikamente (Thyreostatika) sind gut für die Mutter, sind nicht gut für das Kind. Eine Überbehandlung – also Richtung Unterfunktion ist besonders ungünstig für das Kind. Hier gilt es häufig zu kontrollieren, nicht immer ist die Therapieentscheidung leicht zu fällen.

Die Schilddrüse postpartal

Bis sich ein Ungleichgewicht der Schilddrüse wieder einspielt, sei es durch eine Therapieanpassung (bei einer Schilddrüsenerkrankung) oder schlicht nach der Geburt (bei der gesunden Schilddrüse) dauert es etwa 6 Wochen, bevor der TSH-Wert wieder normale Werte erreicht. Sprich – wenn sich die Mutter nach der Geburt in einer leichten Überfunktion befindet scheint dies physiologisch zu sein.

Wie bereits weiter oben beschrieben starten nach der Geburt auch wieder vermehrt Autoimmunprozesse, sodass Patientinnen mit einer leichten chronischen Autoimmunthyreoiditis oder auch einer ausgeprägten Hashimoto Thyreoiditis eine leichte bis ausgeprägte Überfunktion aufweisen, die sich erst nach Wochen und Monaten wieder normalisiert und irgendwann in eine ausgeprägte Unterfunktion übergehen kann.

Als Stillberater*innen lernen wir, dass wir nach Abklärung aller anderen Faktoren bei einer zu geringen Milchbildung auch die Schilddrüse untersuchen lassen sollten. Eine Unterfunktion könnte die Milchbildung negativ beeinflussen. Schwankungen der Schilddrüsenfunktion beeinflussen alle möglichen Funktionen im Körper. So ist es laut Univ. Doz. Dr. Georg Zettinig anzunehmen, dass ein Schilddrüsenproblem mit Problemen der Milchbildung in Zusammenhang stehen kann, allerdings gibt es zu dieser Annahme keine seriösen Evidenzen. Es gibt niemanden, der eine entsprechende Studie zahlen und machen will – daran besteht kein wirtschaftliches Interesse.

Was man beachten sollte: Eine Mutter mit Hormontherapie muss ohnehin regelmäßig kontrolliert werden. Wenn erhöhte Antikörper bekannt sind, sollte sie nach 3 und 6 Monaten eine Kontrolle machen. Auch beim Gestationsdiabetes ist eine postpartale Thyreoiditis eine häufige Nebenerscheinung.

Medikamente

Bereits in der Schwangerschaft stellt sich die Frage, was plazentagängig ist? Mütterliche Hormone sind gering plazentagängig. Jod, Thyreostatika und Betablocker gehen alle relativ gut durch die Plazenta zum Kind. Damit wird die Therapie – insbesondere der Hyperthyreose – in der Schwangerschaft schwierig.

Jod: In der Schwangerschaft und Stillzeit steigt der Jodbedarf an. Eine Ernährung mit jodreichen Lebensmitteln wie Seefisch und jodiertem Speisesalz ist ratsam, auch die Einnahme eines jodhaltigen Nahrungsergänzungsmittels kann sinnvoll sein. Der tägliche Jodbedarf bei Schwangeren und Stillenden ist relativ hoch: 100 – 150 Mykrogramm. AUSNAHME: einige Schilddrüsenpatientinnen (z.B. Morbus Basedow) müssen auf jodarme Ernährung achten.

Schilddrüsenhormontabletten: wirken wie die Hormone der schilddrüsengesunden Mutter, liefern in der Frühschwangerschaft dem Kind die benötigten Hormone und sind auch in der weiteren Schwangerschaft und Stillzeit kein Problem für das Kind und sinnvoll für eine gute Gesundheit der Mutter.

Thyreostatika: Werden in der Schwangerschaft zum Baby transportiert, daher sind engmaschige Blutkontrollen nötig. Thyreostatika gehen auch zu einem geringen Teil in die Muttermilch über. Eine tägliche Einnahme von bis zu 20 mg Thiamazol bzw. 150 mg Propylthiouracil hat keine schädigende Auswirkung auf das Baby.

Kombinationstherapien – z.B. Schilddrüsenhormon plus Thyreostatikum stellen insbesondere in der Schwangerschaft ein Problem dar, denn das Hormon erreicht diaplazentar das Kind nur schlecht, während das Thyreostatikum sehr gut die Plazenta passiert und das Kind therapiert.

Alle Therapieanpassungen müssen dringend mit dem jeweiligen Schilddrüsenspezialisten abgesprochen werden. Die Mutter und gegebenenfalls das Kind sollen engmaschig kontrolliert werden. Plötzliches und selbständiges Absetzen von Schilddrüsenmedikamenten ist NICHT anzuraten.

Fazit: Die Schilddrüse und ihre Auswirkungen auf Schwangerschaft und Stillzeit bleibt ein spannendes Thema, obwohl insbesondere für die Stillzeit noch wichtige Evidenzen ausstehen. Bei Verdacht auf ein Schilddrüsenproblem macht es auf jeden Fall Sinn, die Frauen zum Spezialist*innen zu verweisen.